Leserbrief von Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Friedt, Institut für Pflanzenzüchtung der Justus-Liebig-Universität Gießen und Vorsitzender des Fachbeirates der Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen e.V., UFOP
Zu den Äußerungen von Nobelpreisträger Prof. Michel über die Bioenergie („Ich will diesen Unsinn nicht unterstützen“) in der F.A.Z. vom 26.07.2012
Bei Nobelpreisträgern handelt es sich in der Regel – und zu Recht – um hoch angesehene Persönlichkeiten, deren Meinung in der Öffentlichkeit etwas zählt und gehört wird. Gerade deswegen tragen Nobelpreisträger jedoch auch eine große Verantwortung, wenn sie zu gesellschaftlich kontrovers diskutierten Themen öffentlich, dezidiert und polarisierend Stellung beziehen.
Eine solche Stellungnahme hat der Nobelpreisträger Hartmut Michel, „Photosynthese-Experte“, unter der genannten knackigen Überschrift abgegeben. Vor dem Hintergrund der sogenannten „Energie-Wende“ hat das Thema „nachhaltige und sichere Energieversorgung“ eine ganz neue Bedeutung und Brisanz erhalten: Es geht nicht mehr allein darum, wie günstig die Energie geliefert wird, sondern ob in Zeiten des höchsten Bedarfs auch tatsächlich genügend Energie produziert werden kann. Um dieses möglichst sicherzustellen, dürfte ein „Energie-Mix“ gut geeignet sein, der neben Kohle, Photovoltaik und Windkraft auch auf Erdgas und Biogas aus Biomasse setzt. Im Mobilitätssektor tragen biobasierte Treibstoffe wie Biodiesel und Bioethanol ohne Zweifel maßgeblich dazu bei die endlichen Erdölvorräte zu schonen.
Diese wenigen Anmerkungen sollen in Erinnerung rufen, dass es hier um eine viel komplexere Thematik geht als um eine Bewertung der energetischen Effizienz der Photosynthese. Es dürfte bei kurzem Nachdenken sofort einleuchten, dass der energetische Vergleich des Photosynthese-Prozesses und einer Photovoltaikzelle wenig Sinn macht (um nicht von „Unsinn“ zu reden). Auch wird der Hinweis im Nebensatz, dass die noch geringe Speicherkapazität der Batterien ein Problem sei, der dort anstehenden Herausforderung in keiner Weise gerecht. Vielmehr handelt es sich bei der „Energie-Wende“ um eine gigantische Aufgabe, die nicht allein aus biophysikalischem Blickwinkel sondern auch unter (land)wirtschaftlichen, sozio-politischen, gesamtgesellschaftlichen und globalen Aspekten zu betrachten ist. Insofern ist der Hinweis auf die Verwerflichkeit der Abholzung von Regenwäldern zwecks Ausweitung von Palmölplantagen zutreffend und sehr zu begrüßen: Die Einfuhr von Palmöl und daraus hergestelltem Biodiesel nach Europa ist in der Tat mehr als problematisch.
Aus der Sicht der Landwirtschaft und Ernährung macht es andererseits viel Sinn, solche Flächen, die hierzulande (vorübergehend) für die Lebensmittelerzeugung nicht benötigt werden, für die Produktion von Biomasse und Energie zu nutzen. Der Anbau einjähriger Kulturen hat dabei den großen Vorteil einer kurz- und mittelfristigen Lenkungsmöglichkeit: Getreide, Mais, Raps oder Rüben können kurzfristig ausgesät werden und stehen in Jahresfrist für die Konversion und Energiegewinnung zur Verfügung. Ganz anders verhält es sich mit „schnellwachsenden Hölzern“ wie Pappeln oder Weiden: Einmal angepflanzt, benötigen sie mehrere Jahre bevor eine erste Ernte möglich ist. Zudem sind die Flächen auf lange Frist für die Lebensmittelproduktion nicht mehr nutzbar. Ebenso verhält es sich wiederum mit Photovoltaik-Anlagen, die in zunehmendem Maße nicht allein wertvolle landwirtschaftliche Nutzflächen zudecken, sondern noch dazu die Landschaft verschandeln. Bezüglich Agroforst-Nutzung kommt hinzu, dass praxistaugliche Verfahren der hydrothermischen Karbonisierung bisher nicht entwickelt wurden, obwohl auch daran seit Jahren intensiv geforscht wird.
Im Interesse der Findung sachgerechter, zukunftstauglicher Lösungen für die zukünftige Energieversorgung ist eine ganzheitliche Betrachtung des Sektors „Bioenergie“ notwendig und allein zielführend.
Wolfgang Friedt, Linden (Hessen)
30. Juli 2012